verfasst von: Anne am 30. Oktober 2018
Oktober 2018

An Tagen wie diesen...

Der Herbst ist da. Morgens sind's nur noch 6° und wir müssen unser Arbeitsoutfit wieder auf kühlere Temperaturen umstellen: zwei Leggins, Regenhose, warme Schuhe, Schal oder Mütze. Ach, wie schön! Der Wind weht kräftig, der Himmel ist häufiger mal bedeckt, die Luft ist klar, neulich hat's den ganzen Sonntag durchgeregnet. So eine Freude! Klar, auch ein Grund zu meckern über die kalten Hände beim Ernten und die ständige Herbst-Müdigkeit, aber auch wirklich schön, dass nun alles wieder ein bisschen ruhiger wird. Nach so einem Sommer!

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Ich hatte mich darauf eingestellt, dass ab Mai die Arbeit mehrere Monate lang an erster Stelle stehen würde. Aber die persönlichen, gesundheitlichen Krisen und die große Trockenheit in diesem Sommer haben zwischen Mitte Mai und August dazu geführt, dass der Ausnahmezustand der Normalzustand bei uns war. Das enge Zusammenleben und -arbeiten auf unserem Hof führen dazu, dass wir sehr nah an den Emotionen der Anderen dran sind. Zeitweise habe ich auf die Frage "Wie geht es dir?" mit "Also Jochen geht's... und Johanna macht..." geantwortet. Beide haben sich existenziellen Fragen und Herausforderungen gestellt, die auch bei mir und uns Anderen ihre Spuren hinterlassen haben. Lisa und ich haben einen großen Sprung in der übernahme der alltäglichen Verantwortung gemacht, helfende Hände auf dem Acker koordiniert und eingelernt sowie dafür gesorgt, dass die Pflanzen in der Hitze nicht schlapp machen. Wegen der Trockenheit habe ich jedes Wochenende en detail mit allen anderen Hofmitgliedern abgesprochen, um zu klären, wer wann für die Bewässerung sorgen kann (alle 1,5-2 Stunden müssen die Sprenger umgestellt werden). So eng waren anderen Menschen noch nie in mein Privatleben involviert! Die Wochenenden, an denen ich nicht bewässert habe und den Hof verlassen konnte, belaufen sich zwischen Mitte April und Ende August (die "Trockenzeit") auf 4.




Nun - Ende September - läuft das Leben schon wieder in geordneteren Bahnen. Eingeleitet wurde diese Phase der Entspannung durch die Hochzeit von Johanna und Jochen Ende August. Klein gehalten und sehr bewusst gestaltet war dieser Tag mit der anschließenden spontanen Feier ein fröhlicher übergangspunkt zwischen Sommer und Herbst und all den damit verbundenen Emotionen. Jetzt schaffen wir es wieder, wöchentlich ein Plenum zu machen. Die Lagerernte hat mit dem Einbringen der Zwiebeln und dem Abernten der ersten Kürbisparzelle begonnen. Wir räumen die Kulturen von den Beeten, deren Zeit nun vorbei ist (Gurken, Mais, alte Bohnensätze) und säen Gründüngung aus. Die Pflanzen wachsen bei den niedrigen Temperaturen viel langsamer, das "Unkraut" zum Glück auch. Und die Wintersalate wie Feldsalat und Postelein werden gepflanzt. Auf die Frage "Wie läufts so bei euch?" antworte ich jetzt "Ein richtig gutes Jahr. Super Gemüse, richtig groß, richtig viel, kaum Krankheiten. War anstrengend mit der Bewässerung, aber dem Wachstum des Gemüses hat die Hitze echt gut getan." Da muss ich dann innerlich immer drüber lachen. Denn die Erfahrungen des Sommers fange ich erst jetzt an, richtig zu verdauen. Und alle hier sind individuell und gemeinsam sehr beschäftigt mit den Fragen, die dabei so aufgeworfen wurden.

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Unser Stresslevel erhöht hat übrigens auch der Umstand, dass uns im August und September durchgehend Kisten gefehlt haben, in die wir das geerntete Gemüse packen und nach Berlin liefern. In weiser Vorraussicht hatten wir zum 25. Juli eine ganze Palette neuer Kisten bestellt und trotzdem mussten wir bei jeder Ernte hin- und herplanen, stopfen, umpacken, zusammen werfen, Prioritäten setzen und einiges auch nicht ernten, um mit den zur Verfügung stehenden Kisten auszukommen. Dabei haben wir schon im letzten Jahr Kisten nachgekauft! Es müssen also welche verschwinden. Das ist schade, weil wir trotz der Nähe und dem guten Kontakt zu unseren Solawist_innen nicht darauf vertrauen können, dass alle Kisten wieder hier landen. Letztlich zahlen das dann alle, die von uns Gemüse beziehen und wir haben Stress beim Ernten. Jetzt zählen wir die ausgehenden und eingehenden Kisten und hoffen so einen besseren überblick über das Kisten Leak zu bekommen.

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Gleichzeitig beginne ich erst, die Kontakte und die Beziehungen zu unseren Solawist@s richtig zu verstehen und wertzuschätzen. Uns erreichte eine ganze Welle an Mitgefühl und Unterstützungsangeboten, nachdem Johanna die letzten Nachrichten vom Hof versendet hat. Unsere Mitglieder in der Region haben uns alle zwei Wochen etwas zum Mittag essen vorbeigebracht, um uns zu entlasten. Andere kamen kurz oder länger zum Helfen vorbei. Auf unsere Anfrage nach einem gebrauchten PC für unsere Buchhaltung haben sich gleich zwei Menschen gemeldet, die uns einen zukommen lassen können! Vielen Dank dafür und für eure Anteilnahme! Und nun wieder auf den Acker und die vorletzten Teekräuter ernten...